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GETEC-Arena

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Konzertbericht



Datum: 29.05.2017

Zurück auf dem Bolzplatz

Die Toten Hosen spielten in Magdeburg

Magdeburg (ml)    Es geht wieder los. Das war der Satz von vielen Fans kurz bevor Die Toten Hosen in der GETEC Arena Magdeburg auf die Bühne gingen. Ein neues Album im Gepäck, im Sommer einige Festivalkonzerte und die Aussicht auf eine neue Tour lassen jedes Herz eines Hosen-Fans höher schlagen.

Fit wie ein Turnschuh: Campino gibt über zwei Stunden lang Vollgas. Foto: Marcel Linke

Für mich ist es heute ein besonderes Konzert der Toten Hosen. Es ist das zehnte reguläre Konzert, welches ich von
Fotos zum Konzert
Homepage von Die Toten Hosen
Homepage von Ruts DC
der Band sehe und, rechne ich ihren Gig bei Live 8 2005 mit ein, der elfte Gig, dem ich beiwohne.
Ja, es gibt mittlerweile Bands, die ich öfter gesehen habe. Die meisten sind aber auf allen möglichen Festivals unterwegs oder kommen einfach aus der Region. Bei den Toten Hosen ist das nicht so und es ist wohl auch die einzige deutsche Band für die ich einfach mal quer durch Deutschland reise, um sie zu sehen.

Nun bin ich wieder quer durch die Nation gereist. Magdeburg ist der Zielort, immer noch näher als Flensburg. Das letzte Mal habe ich Die Toten Hosen am 22. August 2015 in Leipzig genau auf meinem Geburtstag gesehen.
Dieses Mal ist vieles anders: Mit "Laune der Natur" gibt es ein neues Album. Nach Hannover, Minden und Leipzig ist es für mich auch mal wieder ein kleineres Konzert, obwohl mit 7.000 Besuchern immer noch viele da sind: Hinten stehen ist hier dennoch näher, als man in einem Front-of-Stage-Bereich auf einem Open Air oft ist. Und trotzdem spielt die Band im Stadion-Setup.


Learning English mit den Toten Hosen und Ruts DC

Die Konzerte in Magdeburg und Flensburg sind die letzten zwei Auftritte vor der Festivalsaison, die die Band neben Rock am Ring und Rock im Park unter anderem auch auf das Highfield Festival führt und deswegen wird geprobt. Angesichts der aktuellen Temperaturen und der hohen Luftfeuchtigkeit sind es anstrengende Konzerte sowohl für Band als auch für Publikum. Schon vor Beginn ist die GETEC Arena eine Sauna.
Auf den Lautsprechern laufen Songs, die auf der "Learning English Lesson 2" vorhanden sind — dem zweiten englischsprachigen Album der Toten Hosen und nur im Doppelpack mit "Laune der Natur" zu bekommen. Auch verewigt auf der "Learning English Lesson 2" haben sich die Ruts DC. Hierbei steht das DC für Da Capo und Ruts beziehungsweise The Ruts ist eine der Bands der britischen Oldschool-Punk-Bewegung. Highlight ist wohl definitiv "Staring At The Rude Boys" zu welchem sich dann auch Campino und Kuddel schonmal vorab auf der Bühne zeigen lassen.

Nach einer kurzweiligen halben Stunde ist das Konzert von Ruts DC vorbei. Nun dauert es eine halbe Stunde bis die Bühne fertig ist für Die Toten Hosen. Nebenbei läuft der Pre-Show-Soundtrack und dies sind schon seit Jahren die selben Lieder: die "Bro Hymn" von Pennywise ist dabei, "Blitzkrieg Bop" von den Ramones im Anschluss und "You'll Never Walk Alone" stimmen auf eine Hosen-Show ein. Das Hochziehen der Flagge mit dem toten Adler ist obligatorisch und darf nicht fehlen und dann geht es mit dem "Urknall" los, Opener der Tour, Opener des Albums und Tourmotto ("Zurück auf dem Bolzplatz") in einem.


Der meisterhafte Spagat zwischen Gegenwart und Vergangenheit

Direkt nach dem aktuellen Song gibt es eine Reise in die Vergangenheit: Mit "Liebesspieler", "Auswärtsspiel" und "Du lebst nur einmal (vorher)" hauen die fünf Jungs aus Düsseldorf einen Block an Klassikern raus und haben damit alle Fans in der Halle für sich gewonnen, von denen nur die wenigsten wohl wirklich aus Magdeburg kommen. Überall wo man hinsieht: Man sieht bekannte Gesichter, Menschen die auf einem Konzert der Toten Hosen fast schon zum Inventar gehören, alteingesessene Fans. Das fällt auch Campino sehr früh auf und bei der Frage, wer zum ersten Mal auf einer Hosenshow ist, melden sich demzufolge auch nur sehr wenig Besucher.

"Es ist Montag, höchste Zeit das Wochenende zu beginnen." - froh ist, wer nach dem Konzert Urlaub hat, denn sowohl zu alten als auch neuen Songs gibt das Publikum alles. Auch wenn, angesichts der Temperaturen, der Moshpit gefühlt kleiner ausfällt als sonst, auch wenn weniger Pogo getanzt wird — das wird alles ausgeglichen, indem die Verrückten, zu denen ich mich auch zähle, es bei den alten Hits schaffen, die Beschallungsanlage locker zu übertönen. Bei "Bonnie & Clyde" ist der Chor aus 7.000 Stimmen ab dem Ende der dritten Strophe eingeplant, bei "Liebeslied" auch und "Altes Fieber" hat sich auf der "Krach der Republik"-Tour sowieso zu einer Hymne gemausert, die nicht fehlen darf. A propos "Krach der Republik": Es war in den Jahren 2012 und 2013 die bislang größte und erfolgreichste Tour der Band. Das Konzert in Magdeburg wurde komplett umgestellt: Kein "Paradies", kein "Freunde" und überhaupt keine ruhigen Lieder, wie "Draußen vor der Tür" oder das davor oft gespielte "Nur zu Besuch".
Jetzt aktuell haben die neuen Lieder Einzug ins Set gehalten: mit "Teenage Kicks" ist eine der englischen Coverversionen dabei, "Wie viele Jahre (Hasta la muerte)" mausert sich langsam zum neuen Lieblingslied der Fans. Einige haben sich den Spruch tatsächlich schon, nach einer Textzeile aus dem Lied, in die Haut geritzt oder eher tätowieren lassen.
Die neuen Lieder kommen insgesamt sehr gut an und die Fans haben sich auch schon organisiert: Zu "Unter den Wolken" gibt es im vorderen Bereich der Halle ein Lichtermeer aus Feuerzeugen und Wunderkerzen. Hier stellt Campino auch nochmal klar, dass der Song tatsächlich Reinhard Mey gewidmet ist und es von Hannes Wader ("Heute hier, morgen dort") zum Musiker, der das Pendant "Über den Wolken" geschrieben hat, auch kein allzu weiter Sprung ist. Die Toten Hosen haben ihre Einflüsse erweitert. Und um nun die große Frage zu klären: Ist das noch Punkrock? Nein, das ist es nicht. War es das denn mal? In den 80ern definitiv. Insgesamt ist es aber Punk! Seit wann gab es im Punk irgendwelche Konventionen? Und muss man sich musikalisch in irgendein Korsett zwingen lassen? Das wäre Stillstand. Die Toten Hosen spielen und spielten auch schon immer verdammt gute und eingängige Rockmusik.

Dass die Musik eingängig ist, merkt man nicht zuletzt daran, wie textsicher alle schon bei den aktuellen Liedern sind und das trotz abwechslungsreicher Texte. "Wannsee" ist ein Beispiel dafür, aber auch "Die Schöne und das Biest". Die größte Textsicherheit hat natürlich weiterhin Campino und das ist erstaunlich, immerhin rennt der Mittfünfziger trotz der Hitze 90 Minuten über die Bühne und singt dabei noch "Wünsch Dir was" und "Hier kommt Alex" bevor es in die wohlverdiente Zugabenpause geht.
Die Toten Hosen schaffen den Spagat zwischen Gegenwart und Vergangenheit ausgezeichnet. Campino schafft sogar noch einen echten Sprungspagat hinterm Mikrofon.


Geschichte wiederholt sich: 25 Jahre höre ich Die Toten Hosen

Aus der Zugabenpause kommen Die Toten Hosen mit ernsten Themen zurück. Hier muss ich jetzt mal etwas ausholen. Ich bin 30 Jahre alt und gehe bald auf die 31 zu. Vor 25 Jahren brannte in Rostock-Lichtenhagen ein Asylbewerberheim. In der Folge kam es zu weiteren Anschlägen auf Asylbewerberheime. Als Kind verstand ich damals noch zu wenig von dieser Situation. Ich wusste bloß, dass dieses das Werk von überaus bösen Menschen war. Zu dieser Zeit veröffentlichten Die Toten Hosen ihren Song "Sascha... ein aufrechter Deutscher" und eben diesen Song hat mir mein Vater auf eine Kassette zusammen mit Liedern, die damals im Radio liefen aufgenommen, die in meinem Kassettenrekorder rauf und runter lief. Speziell dieses Lied hat es mir angetan, auch wenn ich damals den Text auch nur zur Hälfte verstand.
25 Jahre später müssen wir uns dieselbe Scheiße wieder in Deutschland anschauen: Es gibt Anschläge auf Asylbewerberheime und rechtsradikales Gedankengut ist in der Gesellschaft und in der Politik wieder auf dem Vormarsch, das Ganze befeuert durch dämliche Anhänger und noch dämlichere Politiker von Pegida und AfD, die sich versuchen einen bürgerlichen Anstrich zu verpassen.
25 Jahre später heißt das Lied nicht mehr "Sascha... ein aufrechter Deutscher", sondern "Gegenwind der Zeit". Haben die Dumpfbacken "Sascha... ein aufrechter Deutscher" tatsächlich manchmal missverstanden, gibt es an "Gegenwind der Zeit" auch für die ganz Doofen der Nation nichts mehr Missverständliches: "Und so steht ihr da in euerm kurzen Hemd im Gegenwind der Zeit. Haltet euch nur stumpf an gestern fest im Gegenwind der Zeit.". Es sind am heutigen Abend leider zu leise "Nazis raus!"-Chöre, die in der Halle ertönen. Das gab es auch schon lauter. Andererseits sind hier heute fast ausnahmslos nur die eingefleischten Fans der Band dabei. So deutlich wie Die Toten Hosen ihren Standpunkt in den letzten Jahren vertreten haben, etwa durch ihren Auftritt beim Anti-Rechts-Festival "Jamel rockt den Förster" oder dem Magical Mystery Gig auf der Anti-Pegida-Demo in Dresden, ist die Wahrscheinlichkeit aber ohnehin sehr gering, dass sich noch ein Rassist auf eine Hosen-Show verirrt. Um das nochmal deutlich zu machen spielen die Jungs "Madeleine (aus Lüdenscheid)" bevor mit "Halbstark" und "Hang On Sloopy" die Party wieder voll in Schwung kommt.


Von Rockprofis zu Exzessmusikern in drei Liedern

Langsam geht es auf die Zielgerade. Die Konzertbesucher fordern in der nächsten Zugabenpause lautstark "Eisgekühlter Bommerlunder" und werden erhört. Die Band kann nicht anders und muss diesen Song spielen. Im "ICE nach Düsseldorf" beschäftigt Campino sich mit seiner eigenen, hoffentlich noch fernen Zukunft — seinem Tod — und das in herrlich erfrischender und ironischer Weise ("Ich hab 'nen Platz reserviert auf dem Südfriedhof, mein erster fester Wohnsitz, freu' mich richtig drauf."). Die Toten Hosen haben sich thematisch als auch musikalisch weiter entwickelt über die Jahre und das merkt man gerade dann, als auf Themen, wie Tod oder der Spagat zwischen Familienleben und Band ("Das ist der Moment") die in den letzten Jahren eher selten gespielten Songs folgen. "Azzurro" ist da noch eher ein stimmungsvoller Spaß, "Verschwende deine Zeit" skizziert die Band aber in ihrer Anfangszeit, bestimmt von Drogen- und Alkoholkonsum und Feiern rund um die Uhr. Es ist eine Entwicklung die Die Toten Hosen hingelegt haben, wie sie bislang nur die erfolgreichsten Bands im Business, wie die Rolling Stones, vormachten. Vom Exzess zu professionellen Musikern. Ein Beispiel: Kuddel ist trockener Alkoholiker und mittlerweile sogar Veganer. Klangen die Songs aus der Anfangszeit noch rau und einfach, sind sie heute sehr durchdacht. 35 Jahre sind Die Toten Hosen als Band unterwegs und es wäre auch sehr erschreckend, wenn sie in dieser Zeit nicht erwachsen geworden wären. "Wunder" geschehen halt immer, womit Die Toten Hosen dann noch einen weiteren Song raus hauen, den sie in den letzten Jahren nur selten spielten.
Zum Abschluss nach über zwei Stunden Spielzeit dürfen dann trotzdem "Tage wie diese", so erfolgreich, dass er laut Campino zum "meistgespielten Song auf Beerdigungen" wurde und die FC Liverpool-Hymne "You'll Never Walk Alone" nicht fehlen.

Der meines Erachtens stärkste und bewegendste Song von "Laune der Natur" wird aber erst im Abspann, als die Hallenlichter schon wieder an waren, gespielt: "Kein Grund zur Traurigkeit". Ein Song ihres Ex-Schlagzeugers Wölli, der 2016 den Kampf gegen den Krebs verloren hat, und mit dem die Band bis zuletzt gut befreundet war.


Die Toten Hosen meine Lieblingsband?

Die Toten Hosen sind definitiv "zurück auf dem Bolzplatz". "Laune der Natur" kehrt wieder mehr zu den Wurzeln der Band im Punk zurück. An vielen Stellen lauter und schneller als das Vorgänger-Album und gefühlt auch gewollt kleiner gehalten als der Vorgänger. Sie singen ja schon in "Urknall", dass sie das boulevardeske, den ganz großen Glanz ihres Jobs mittlerweile Leid sind. Ganz klein wird wohl nicht mehr gehen, aber statt der GETEC Arena in Magdeburg hätte sich die Band ja auch durchaus was Größeres und Unpersönlicheres buchen können. Zwischen Ankündigung und Vorverkaufsstart lag ein Tag, sodass hauptsächlich die Leute was mitbekommen haben, die den Rundbrief der Hosen bekommen oder die Band auf Facebook abonnieren. Es hat funktioniert. Die Quote an langjährigen Fans der Band war gefühlt so hoch, wie schon lange nicht mehr. Und auch das Umstellen der Setlist auf eher selten gespielte Lieder erfreut natürlich Fans, die schon lange dabei sind und das "Wort zum Sonntag" ganz nach dem Motto aus dem Song "Helden und Diebe" vielleicht wirklich nicht mehr hören möchten.
Obwohl ich für mich sage, dass ich nicht sagen kann wer meine Lieblingsband ist und mich darauf auch nicht festlegen möchte: Die Toten Hosen kommen diesem Begriff schon recht nah. Es ist auch die einzige Band, bei der ich meine Konzertbesuche noch auswendig herbeten kann: Minden 2002, Berlin 2005, Bielefeld 2008, Bielefeld 2009, Bielefeld 2009, Hannover 2012, Bielefeld 2013, Hannover 2013, Minden 2013, Leipzig 2015 und nun Magdeburg 2017.
Ja, es geht wieder los. Die nächste Tour steht bestimmt in den Startlöchern und dieses Mal möchte ich dann auch unbedingt mal Düsseldorf mitnehmen. Das gehört dazu, wenn man Fan dieser Band ist.

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Datum: 29.05.2017

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