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Nicht nur Hollandklischees

Jera on Air überzeugt auf ganzer Linie

Ysselsteyn (dd)    Zwei Tage Festival, angesagt sind zwei Tage angesagter Dauerregen, bekommen haben die Zuschauer einen Tag Sonne, ein großartiges Line-Up und ein wunderbar organisiertes Festival.

Pennywise (Archivfoto) waren Headliner beim Jera on Air. Foto: Marcel Linke

Wenn man an die Niederlande denkt, fallen einem zuerst eine Fülle an Klischees und Vorurteilen ein: Caravankarawanen auf der Autobahn, Tulpenfelder wohin das Auge reicht, jede Mahlzeit wird frittiert, es riecht überall nach Gras und eigentlich flutet die Klimaerwärmung das Land sowieso in einigen Jahren.

Zumindest das Klischee der Überflutung scheint für dieses Wochenende zuzutreffen. Schon Tage im Voraus werden Informationen über den aktuellen Wetterstand und Planungsänderungen über Social-Media bekannt gegeben. Der Parkplatz wird kurzfristig umgelegt, der Campingplatz aufgesplittet in mehrere kleine, immerhin das Infield bleibt in seiner vorher geplanten Form bestehen.

So langsam freunde ich mich immer mehr mit der Idee an, dass unter anderem die Bühnen in großen Zelten stehen. Neben den beiden Hauptbühnen gibt es auch noch die Vitelia Punkrockbar und die Cathedral of Chaos. Außerdem noch Bereiche für Merchandise und ein Foodcourt mit Biergarten, den man in der Größe nur selten auf Festivalgeländen sieht.
Anders als in Deutschland wird bei Festivals und Konzerten in den Niederlanden mit Wertmarken anstatt Geld bezahlt. Das Gelände ist überschaubar, es bietet genügend Platz für die über 6000 Besucher, man hat kaum lange Wege (abgesehen vom gefühlt 100km entfernten Parkplatz am anderen Ende von Ysselsteyn) zwischen den einzelnen Bereichen, der Campingplatz ist so nah am Festivalgelände, man hört die Bands auch ohne sie zu sehen (da ist nämlich die Zeltwand zwischen).

Falls in der Fülle an Metal/Hardcore/Metalcorebands auch mal was nicht dem eigenen Musikgeschmack entspricht, wird einem hier nicht langweilig.
Am Freitag gibt es eine Extrabühne, open air, davor ein großes Luftkissen. Auf der Bühne spielt eine Band diverse Rock- und Metalklassiker, währenddessen darf man sich von der Bühne auf das Kissen werfen, Stagedive ohne fremde Gummistiefel im Gesicht. In der Cathedral of Chaos gibt es einen Biergarten, man kann Shisha rauchen oder zu Electro tanzen. In der Punkrockbar kann man Punkrock Karaoke singen.
Außerdem gibt es eine große Merchandise- und Shoppingmeile mit CDs, Kleidung, Gimmicks und Socken (trockene Socken sind bei dem Wetter wirklich ein Luxusgut!).
Diverse Bands geben Autogramme, außerdem gibt es Acoustic Sessions. Mehr dazu später.

Nach Ysselstein kommt man mit dem Auto schnell, vor allem aus dem Ruhrpott. Ich nehme zwei der Bandmitglieder von The Tips mit.
Eigentlich sollten sie heute Abend spielen, der Sänger ist krank, der Auftritt fällt aus, auf das Festival verzichten wollen die anderen trotzdem nicht.

Mein Kofferraum ist voll, bei dem Regen nimmt man lieber zu viel als zu wenig mit. Die gelben Gummistiefel werden definitiv mein Lieblingsaccessoire.
Der Check-In geht schnell, länger dauert es einen Platz für das Zelt zu finden, falls man nicht im knöcheltiefen Wasser schlafen mag.
Auf dem Campingplatz geht es international zu, man hört Niederländisch, Deutsch, Englisch und Französisch. Alle miteinander, alle durcheinander.

Ich stürze mich in das Getümmel, lasse mich treiben, lande pünktlich zum Aufritt von Bury Tomorrow vor der Bühne. Während ich bei Rock im Revier die Hardcoreschiene eher vermisst habe, bekomme ich nun die volle Dröhnung.

Das Highlight des Tages sind Deez Nuts. Sänger JJ Peters läuft gewohnt zur Höchstform auf, ein Song nach dem anderen prasselt auf das Publikum.
Schon nach 2 Songs bin ich aus der Puste aber glücklich. Die einzige Band die ich heute aus der ersten Reihe erlebe.

Das einzige was an dem Tag ausbleibt ist der vorhergesagte Regen. Ich glaube kaum, dass sich jemand darüber beschwert.
Nach einer kurzen Nacht bricht der zweite, noch immer regenlose Festivaltag an.
Nach und nach erwacht der Zeltplatz. Besonders zu beobachten ist das an den wachsenden Schlangen vor Toiletten und Duschen. Während des Frühstücks bricht es dann aus allen Wolken. Die Entscheidungsschwierigkeiten ob wir noch eine Nacht zelten oder nach dem Headliner Pennywise zurück fahren ist hiermit getroffen.

Wir packen unsere Sachen, verstauen sie im Auto und verbringen den Tag auf dem Festivalgelände.
Besonders freue ich mich auf die Acoustic Session in Mom’s Livingroom von John Coffey, ein paar Stunden vor ihrem eigentlichen Auftritt auf der Mainstage. Keine 30 Leute sind zusammen gekommen, damit man gut die Band hört werden Funkkopfhörer verteilt. Schlagzeuger Carsten fehlt, ebenso Bassist Richard ist nicht dabei. Für ihn ist Justin eingesprungen.
Eine halbe Stunde lang spielen die Jungs eigene Songs, unterbrochen von Covern. Aus dem Publikum kommen Songwünsche. Immer wieder nimmt Sänger David die Kopfhörer ab um dem Publikum zu lauschen.

Den Rest des Tages verbringe ich damit, zwischen den Bühnen hin und her zu wechseln. Dieses ist nicht nur mit dem Regen, sondern vor allem mit dem wunderbaren Line-Up zu begründen.
Ich sehe unter anderem Beartooth, Our Last Night, August Burns Read und H2O. Auch die Headliner Sick Of It All, While She Sleeps und Pennywise lasse ich mir nicht entgehen.

Der Sound ist überall qualitativ fantastisch, durch genügend Belüftung ist es auch immer angenehm in den Zelten.
Nur bei Jaya The Cat wird es warm und stickig. Das niemand zu der Musik ruhig stehen bleiben kann erklärt sich aber auch von selbst.

Aber auch bei Pennywise ist es anstrengend. Ein Crowdsurfer nach dem Anderen kommt von hinten. Mit schlammigen Schuhen und dem Mangel an helfendem Publikum (das war im Circle Pit) ist das alles andere als angenehm.
Zum Glück legt sich die Fülle an Crowdsurfern im Laufe des Konzerts. Jetzt heißt es einfach nur noch genießen, mitsingen und tanzen.
Sänger Jim Lindberg fragt Fans aus den ersten Reihen mehrmals nach Songwünschen, erfüllt werden sie sofort.
Der Auftritt ist wie die Musik, schnell, mitreißend und kurzweilig. Ein gelungener Abschluss.

Mein Fazit: auch wenn der Niederschlagsrekord der Niederlande an dem Tag in Ysselsteyn aufgestellt wurde, dieses Festival war einen Besuch mehr als wert. Wenn das Line-Up nächstes Jahr wieder so vielversprechend ist, bin ich definitiv wieder dabei.

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